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Der Nürnberg Schlachthof

Vieh- und Schlachthof der Stadt Nürnberg in St. Leonhard

 

 

Artikel aus unserem Stadtteilmagazin Ausgabe 7, Juli 2016

 

„Gewaltige Hunde ziehen blutige Metzgerkarren vorüber. Bis auf die Brust hängt ihnen die Zunge heraus.“ (Graf, S.68)

Der Vieh- und Schlachthof der Stadt Nürnberg in St. Leonhard

Wir wollen in einer Artikelfolge auf unseren ehemaligen Schlachthof eingehen. St. Leonhard und Schweinau sind die beiden Stadtteile in Nürnberg, die in der Vergangenheit, aber auch in der Gegenwart wohl die wichtigsten Infrastruktureinrichtungen Nürnbergs beherbergten und beherbergen.

In der Vergangenheit war es vor allem der Schlachthof, in der Gegenwart ist es die Müllverbrennungsanlage und ein Recyclinghof. Es scheint ein gesellschaftliches Naturgesetz zu sein, dass diejenigen aber, die für die Gesellschaft besonders wichtige Aufgaben erfüllen, nicht sonderlich geachtet sind.

Der Ochs auf der Fleischbrücke bleibt allein zurück

Die Bratwürste mögen noch so klein sein, gutes und frisches Fleisch war gerade für die fingerlangen Würste notwendig. So reichte das Schlachthaus an der Fleischbrücke, an das nur noch der steinerne Ochse erinnert, im 19. Jahrhundert für eine Bevölkerung von 100.000 Einwohnern nicht mehr aus. „Bereits im Jahre 1855 finden wir auf dem Viehmarkte in Nürnberg einen Auftrieb von 53.047 Viehstücken.“ 1869 wurde vom Stadtmagistrat beschlossen, das alte Schlachthaus an der Fleischbrücke zu schließen und ein neues Schlachthaus im Bereich des „Burgfriedens“, also außerhalb der Mauern, zu bauen. Die Metzger hielten das nicht für nötig und wollten das Projekt auch nicht unterstützen, aber der Stadtmagistrat setzte sich durch. Es wurden am Kanalhafen liegende Grundstücke der Landgemeinde Sündersbühl erworben. 1889 begann der  Bau und 1891 war der Vieh- und Schlachthof der Stadt Nürnberg fertig und konnte eingeweiht werden: „ Am 16. September 1891 ist dann der neue Schlachthof in feierlicher Weise eröffnet und dem Betriebe übergeben worden. Am darauffolgenden Tage fanden schon in früher Morgenstunde in allen Schlachthallen Schlachtungen statt und bis Mittag war der ganze Schlachthof in vollem Betriebe.

Die Schlächter arbeiteten gerne, ja mit großer Freude an der neuen Arbeitsstätte und lebten sich rasch in die neuen Verhältnisse…ein.“ (Festschrift, S. 11/12)

„Respekt, Herr Rogner, der Sie der Schlachthofdirektor sind, Respekt, Ihr lieben Nürnberger!“, in zwei Jahren haben die Nürnberger den Schlachthof aufgebaut. Da hätten sich die Berliner ein Scheibe abschneiden können. 1877 begannen die Berliner ihren Schlachthof zu bauen und 1881 wurde er eingeweiht, obwohl er erst  1883 fertig gestellt wurde. Wahrscheinlich sind solche Verzögerungen eine Berliner Tradition. Denkt da jemand vielleicht an den Willy Brandt Flughafen in Berlin? Der größte Schlachthof der Welt stand in Chicago. Er wurde 1865 eröffnet.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war auf Grund des Wachstums der Großstädte die zwingende Notwendigkeit gegeben, moderne Schlachthöfe zu bauen. Chicago war nur deshalb der größte Schlachthof, weil dort die Konservenindustrie angeschlossen war. Chicago und Berlin sollen hier auch deshalb erwähnt werden, weil sie in der Literatur ihren Niederschlag gefunden haben. Über den Berliner Schlachthof schreibt Alfred Döblin in seinem Roman „Berlin Alexanderplatz“ und der Schlachthof von Chicago ist Thema im Roman Upton Sinclairs  „Der Dschungel“. Und über Nürnberg schreibt unter anderem Alfred Graf „Das Haus im Tor“, und neuerdings haben wir in unserem Stadtteillesebuch einen Bericht Oswald Blumenstetters, „Betriebsalltag im Schlachthof“ vorliegen. Wichtig ist für uns auch die Festschrift „Der Vieh- und Schlachthof der Stadt Nürnberg“ zum „Fleischerei-Verbandstag“ vom 10.-13.7.1900.

So sah das Schlachthofgelände aus!

Es ist klar, dass wir die ausgeklügelte Organisation des Vieh- und Schlachthofes nicht im Detail behandeln können, aber zum besseren Verständnis müssen wir doch den Lageplan wiedergeben, das quantitative Ausmaß des Viehauftriebs und der Schlachtungen behandeln. Man stelle sich vor, ein Leonharder will auf die Schwabacher Straße oder auf die Schweinauer Straße einbiegen aber der gesamte Verkehr staut sich, nicht, weil wieder irgendeine Demo unterwegs ist, sondern weil Rinderherden durch den Stadtteil getrieben werden. „Von dem Gesamtviehauftriebe kamen mit der Eisenbahn … (zum Beispiel) 32.076 Stück Großvieh…Die übrigen Viehstücke wurden zugetrieben.“ (Festschrift, S. 63) Immerhin genau 18.684 Rinder. Das sind die Zahlen für das Jahr 1899. Ja, wer da noch Bilder hätte, die Leonhardskirche im Hintergrund und vorneweg Rinderherden!

Wenn wir vor der Villa Leon stehen und auf die Baustelle der neuen Grundschule und die neu erbaute Siedlung schauen, dann war rechts die Verwaltung, das Direktionsgebäude, heute die Villa Leon, in der Mitte, wo heute unsere Streetworkerin ihr Büro hat, das Pförtnergebäude und links die Gaststätte mit Übernachtungsmöglichkeiten, mit insgesamt 25 Zimmern. Haben wir den Eingangsbereich passiert, sehen wir links einen weiten Platz, den Viehmarkt, rechts aber ist der eigentliche Schlachthof.

„Auf den Viehstraßen bläst der Wind, es regnet. Rinder blöken, Männer treiben eine große brüllende, behörnte Herde. Die Tiere sperren sich, sie bleiben stehen, sie rennen falsch, die Treiber laufen um sie mit Stöcken. Ein Bulle bespringt noch mitten im Haufen eine Kuh…“ (Döblin, S.122) So sah es Döblin in Berlin, in Nürnberg wird es nicht viel anders auf dem Viehmarkt zugegangen sein. In Chicago war es nur alles größer,  „ein Meer von Koppeln. Und sie waren alle voll – niemand hätte sich träumen lassen, dass es so viel Vieh auf der Welt gäbe! Rote Rinder, schwarze, weiße, gelbe Rinder,…gewaltig brüllende Bullen und Kälbchen, die keine Stunde alt waren, … Ihr Brüllen klang, als käme es von allen Bauernhöfen der Welt…“ (Sinclair, S. 47)

Der Viehauftrieb!

Nicht das gesamte Vieh, das auf dem Viehmarkt angeboten wurde, wurde auch in Nürnberg geschlachtet, von 50 780 „Rindviehstücken“ wurden 1899 25 329 in Nürnberg geschlachtet, also kamen ca. 25 000 nochmals mit dem Leben davon, sie wurden eben weiterverkauft. Die 34.422 Kälber werden gesondert aufgeführt, sie zählen nicht zu den sog. „Rindviehstücken“. Wir können hier nicht alle Zahlen aufführen, aber es versteht sich von selbst, dass den größten Umfang der Vertrieb und die Schlachtung von Schweinen ausmachte. 1899 waren es immerhin 129.812 Schweine, die in Nürnberg geschlachtet wurden. Durchaus selbstbewusst heißt es in der Festschrift: „Dem durchschnittlichen Verkaufspreise nach berechnet sich dieser Viehumsatz auf 25 000 000 Mark“. (Festschrift, S. 63) Und das 1899. Wir sehen, wir haben es mit einem modernen Großbetrieb zu tun und die Tiere kamen auch aus aller Herren Länder. Selbst aus Österreich kamen 5.623 Stück Großvieh. Die meisten Schweine wurden aus Preußen angeliefert, aber Preußen reichte damals ja bis an die Nürnberger Stadtgrenzen.

Wenn wir die alten Bilder aus dem 19. Jahrhundert betrachten, dann sehen wir auf dem Viehhof vor den Tiergruppen Menschen stehen, das sind die Viehknechte, vielleicht auch die Bauern, die ihr Vieh anlieferten, möglich auch Viehhändler. Die Metzger konnten nun durch die Reihen der angebotenen Tiere gehen und das ihnen passende Vieh erwerben, in der Regel per Handschlag. Herr Hubbes von der Metzgerei Mooser konnte mir hier wertvolle Hinweise geben.

Die Schlachtung erfolgte dann freilich nicht sofort, so dass Ställe für die Tiere vorhanden sein mussten, die Tiere ein letztes Mal versorgt werden mussten. Selbst – wir knüpfen an unsere Überschrift an – für die Metzgerhunde war gesorgt: „Es ist noch ein kleiner Stall zum Einstellen von Ziehhunden eingefügt. Derselbe enthält Anhängevorrichtungen für 42 Hunde.“ (Festschrift, S.35)

Bis die Hunde allerdings das Fleisch zu den einzelnen Metzgereien ziehen konnten sollte noch eine gewisse Zeit vergehen. Über die eigentliche Arbeit des Schlachthofes wollen wir im nächsten Stadtteilmagazin berichten.

(Klaus Thaler)

 

Artikel aus unserem Stadtteilmagazin Ausgabe 8, Juli 2016

 

Alles andere als vegan oder auch Der lange Weg bis zur Bratwurst

Zweiter Teil unserer Schlachthofgeschichte

In Heft 7 betrachteten wir die Geschichte, die Organisation des Schlachthofes und zum Schluss den Viehauftrieb an unserem Schlachthof. Den „Betriebsalltag im Schlachthof“, den Blumenstetter beschreibt, wollen wir uns jetzt genauer ansehen und dann die weitere Geschichte des Schlachthofs bis zur Schließung behandeln.

Blumenstetter, der zunächst Metzger und später Betriebsmeister wurde, schildert in unserem Lesebuch einen Arbeitstag: „Ab 3.30 Uhr in der Früh begann die Arbeit im Schlachthof und der Betrieb endete meist zwischen 17.00 und 18.00 Uhr.“ … „Die ersten, die in der Früh mit der Arbeit begannen, waren die Lohnschlächter. Metzger von Beruf, übten sie ihr Handwerk als freie Arbeitsgruppe“ in Form einer Genossenschaft aus. Der Mittwoch war der Hauptschlachttag, an dem zehn Stunden und mehr gearbeitet wurde. „Mittwochs waren es 1200 Stück Großvieh, Rinder und Kälber, und zwischen 500 und 600 Schweine, die geschlachtet wurden.“

„Ein besonderer Geruch hing in der Luft“

Die Beschreibung des Schlachtvorganges selber kann ich in vier verschiedenen Versionen anbieten: Alfred Döblin in „Berlin Alexanderplatz“ und Upton Sinclair in „Der Dschungel“ schildern dies sehr drastisch, deshalb verzichten wir hier lieber darauf. Unterkühlt sachlich geht die Festschrift vor, und Alfred Graf, der Pfarrersohn, der neben dem Schlachthof wohnte, kleidet den Schlachtvorgang in seinem Buch „Das Haus im Tor“ in ein Kinderspiel, das „Metzgerlesspielen“. „Das .… aber geht so: Man holt aus dem Lehrsaal flugs die kleinste der Kirchenbänke. Sie hat keine Lehne, und wenn man sie auf den Rücken legt, streckt sie die  Beine willig zum Himmel und läßt den Bauch sich füllen mit leeren Fadenrollen, … Künstliches Darmgekröse. Wir nageln Packpapier darüber. Herumgedreht! Auf allen Vieren steht wiederum die Kirchenbank – zum Kalb, zum wilden Bullen, zum Mastschwein degradiert.“… „Bald dröhnt der Beilschlag auf des Banktiers Schädel. Es stürzt. Das Messer schnell – der Hundefutterkübel wird zum Blutauffanggefäß. … Zwei dicke Schaukelstricke erweisen sich als praktisch, den Leichnam hochzuziehen zum feierlichen Augenblick: Ein kräftiger Schnitt den packpapiernen Wanst hinunter – mit aufgestülpten Ärmeln wühlt, das blut`ge Messer in den Zähnen, Schors (ein Spielkamerad) der Gedärme hölzerne Fluten aus triefender Höhle…“ (Graf, S. 61f.)

In der Festschrift klingt das sachlicher:  Tötung der Schweine – „Zu diesem Behufe sind an der Wand Ringe eingelassen, an welchen die Schweine mit einem Hinterfuße befestigt, dann von dem Schlachtenden an die Wand gedrückt und mit einem Holzschlegel oder Schlaghammer durch einen Schlag auf den Kopf betäubt werden. Hierauf wird der Abstich und die Entleerung des Blutes vorgenommen. Erst wenn die Schweine vollkommen tot sind, werden sie von den Anhängeringen losgelöst und zum Brühkessel gebracht.“ … Der Ausschlachteraum schließt sich unmittelbar und vollständig offen…an den Brühraum an.“ (Festschrift S. 32) Im Ausschlachteraum gibt es dann eine Laufkatze „mittelst welcher die enthaarten Schweine von den Enthaarungstischen weg zu den Aufhängehaken behufs Ausschlachtung gefahren werden können.“ (Festschrift S. 34)

Sauberkeit und Hygiene an erster Stelle

Nach dem Schlachten waren zunächst mal die Fleischbeschauer am Werk, dann, so schreibt es Blumenstetter, wurde das Fleisch in den Kühlräumen eingelagert, um am nächsten Tag zerlegt zu werden. „Jedes Mal nach dem Schlachten – so Blumenstetter – mussten die Schlachthallen gereinigt und desinfiziert werden. Meist fingen die Putzfrauen – acht an der Zahl – um 7 Uhr früh mit der Arbeit an.“ Freilich gab es, wie überall, auch unter den Metzgern schwarze Schafe. So wird in der Stadtchronik aus dem Jahr 1924 berichtet, dass in einer der Kühlzellen der Metzger „verdorbene Wurst, Fleischwaren und Innereien“ gefunden wurden. Ähnliches fanden dann die Kontrolleure in den Geschäftsräumen der Metzgerei in der Südstadt. Die Nürnberger konnten zufrieden sein, über mehr als fünfzig Jahren seit Bestehen des Schlachthofes gab es keine gravierenden Beanstandungen. Erst 1949, und zwar am 11.2. wurde der Schlachthof von einem Unglück heimgesucht: Zum ersten Mal in der Geschichte unseres Schlachthofes brach eine Seuche auf dem Viehhof aus, es war die Maul- und Klauenseuche. Der Schlachthof wurde gesperrt und es erfolgte  „die Abschlachtung des gesamten Viehbestandes“.

Was der Krieg nicht schaffte, …

Der Bombenkrieg zerstörte 70 % des Schlachthofes. Aber wurde deshalb der Betrieb eingestellt?

Nein! Über die kritischen Tage der Einnahme Nürnbergs durch die US-Armee lesen wir in der Stadtchronik: „Infolge des Sinkens der Bevölkerungszahl – Viele Nürnberger wurden evakuiert – kann die Versorgung der Bevölkerung mit Fleisch und Wurst … aufrecht erhalten werden.“ Es wurde eben weniger geschlachtet: Waren es 1944 noch 17 136 Stück Großvieh, dann waren es 1945 nur noch 7 501 Stück und Schweine wurden nur noch 7 025 geschlachtet, ein Jahr vorher noch 41 116.

… das schafft die Europäische Union

Seit 1997, genauer seit dem 30.6.1997, kommt das Fleisch für die Nürnberger Bratwurst nicht mehr aus Nürnberg, sondern sogar aus Fürth. „Der Betrieb – so die NN vom 16.5.1997- … erfüllt die EU-Richtlinie ´Frisches Fleisch` von 1991 längst nicht mehr.“  Eine Begründung nennt die NN vom 13.6.1997: „Seit der Mensch weniger auf Fett, sondern auf mageres Fleisch steht, sind die Schweine länger geworden. Wenn sie so an den zu niedrigen Bändern hängen, schleifen stellenweise die Köpfe am Boden.“

Auch wenn der Nürnberger Schlachthof nun schon 18 Jahre nicht mehr besteht, die Nürnberger Bratwurst blieb uns erhalten. In unserem nächsten Stadtteilmagazin nehmen wir gerne Beiträge von „Loonhardern“ auf, die den Schlachthof noch erlebten und vielleicht etwas Interessantes zu berichten haben.

(Klaus Thaler)