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Alfred Graf (1883-1960)

Schriftsteller

 

 

Artikel aus unserem Stadtteilmagazin Ausgabe 2, Juli 2013

 

„Versunkenes Eiland … der Jugend Silberschloss“
Ein Versuch über den Schriftsteller Alfred Graf (1883-1960)

Pfarrer Grieshammer hat mich auf Alfred Graf aufmerksam gemacht. Auf der einen Seite ist es das literarische Werk, das nicht vergessen werden sollte, auf der anderen Seite aber sein Lebensweg, der, gerade weil Graf verschlungene Emigrationspfade gehen musste, immer gerade blieb. Seine Biographie detailliert auszubereiten, ist nicht sinnvoll. Hier nur einige Stichworte. Als Alfred Graf sechs Jahre alt war, also 1889, wurde sein Vater August zum Pfarrer von St. Leonhard bestellt und die Familie zog in das Pfarrhaus am heutigen Leonhardsplatz um. Nach dem Gymnasium und dem Studium in Tübingen und München unternahm er ausgedehnte Reisen, die ihn nach Italien, Griechenland, Ägypten und Palästina führten. Auf den Weltkriegstourismus von 1914 bis 1918 hätte er sicher gerne verzichtet.

Alfred Graf arbeitete als freier Schriftsteller, Vorstand der Nürnberger Volksbibliothek, Redakteur beim „Fränkischen Kurier“, einer namhaften Nürnberger Zeitung, und schließlich leitete er von 1924 bis 1933 das Studio Nürnberg des Bayerischen Rundfunks. Da das Studio Nürnberg 1924 gegründet wurde, war er demnach der erste Leiter des Nürnberger Rundfunks. Auf meine Anfrage beim Bayerischen

Rundfunk wurde mir mitgeteilt, dass keine Dokumente, auch keine Tondokumente aus dieser Zeit mehr vorlägen. Vielleicht findet sich aber bis zum nächsten Jahr einiges.

Graf hielt es nach seiner Entlassung durch die Nationalsozialisten dann noch vier Jahre in Deutschland aus. Er emigierte zunächst nach Norwegen. Dort mutierte unser Dr. phil. zum Bauern. 1940 mit dem Einmarsch der deutschen Truppen in Norwegen musste er den Pflug stehen lassen und ein unstetes Emigrations-Wanderleben folgte. Panama war das Ziel, das er und seine Familie erst über die Sowjetunion, Korea und Japan erreichte. Nach einem Umzug nach Ecuador konnte die Familie endlich 1946 in den USA Ruhe finden. Er wurde wie andere Emigranten nach eigenen Aussagen „nie ein richtiger Amerikaner“, aber nach Deutschland wollte er auch nicht mehr zurückkehren. Nur einmal kam er kurz auf Besuch in die alte Heimat. Alfred Graf starb am 24. November 1960 in Washington D.C..

Dem Verlag Lorenz Spindler ist es zu verdanken, dass Alfred Grafs Roman „Das Haus im Tor“ 1963 erscheinen konnte. “Haus im Tor” bedeutet nach den Erinnerungen Christine Gaberdans, dass das Pfarrhaus über einer Toreinfahrt lag, die zum Friedhof führte. “Haus im Tor” ist kein “Handlungsroman”, sondern eher ein “Episodenroman”. Kindheit und Jugend in einem evangelischen Pfarrhaus in St. Leonhard sind die zentralen Themen. In den bunten Teppich des Lebens sind auch Erinnerungen an den Stadtteil und das Leben in St. Leonhard eingewoben, und das interessiert uns hier in erster Linie. Eine umfassende Würdigung Grafs würde den Rahmen dieses Heftes sprengen. Nur soviel hier, Graf versteht es, sich sehr gut auszudrücken, die Realität wird nur dezent poetisiert, mitunter sind scharfe Kontraste nicht zu vermeiden, denn auch in der Realität stieß Unvereinbares aufeinander.

Neben dem Pfarrhaus mit dem “üppig wuchernden Garten, zwischen Strauch und Baum, Kirche,” eine Idylle, lag der Friedhof mit seinen “Kreuzen und Grabsteinen”, von einer Mauer eingefriedet. Und anschließend die Gaststätte “Leonhards-Park”: “ `Park` heißt die Wirtschaft gegenüber der Kirche, weil sie von schönen alten Bäumen umgeben ist, die auch einen Teil unseres Gärtchens umrauschen.”

Gegensätzlich sind nicht nur die Orte: An Sonn- und Feiertagen ist im “Leonhards-Park” “Hochbetrieb”. “Militärmärsche, Männerchöre. `Was ist des Deutschen Vaterland?` Ich schreite die leergewordene Allee entlang, vor und zurück, hinauf und hinunter. Die Menschen sollen wieder an ihre Arbeit gehen! Ihre Feiertage tun weh.”

Das Militär war in St. Leonhard gegenwärtig, denn an der Rothenburger Straße lagen Kasernen. Graf schildert einen Aufmarsch, wahrscheinlich über die Schwabacher Straße : “Die Friedhofsmauer ist schon dicht besetzt von Gassenbuben … Die Pferde tänzeln. Wedelnde Büsche auf schmalen, spitzen Hüten. Die Generäle – ! Schweißdunst und grauer Staub. Dazwischen Säbelblitzen, Quasten, Schärpen, goldne Litzen. Gewehre, Gewehre …Wir sitzen rittlings auf der Mauer. Halten uns fest. Aber die Mauer ist lebendig geworden. … Die Luft dröhnt, die Häuser zittern.”

Vorher schon muss Graf an das Ergebnis dieses Militarismus denken, allerdings im Rückblick auf den Krieg 1870 / 71, “an den Bettler mit dem Holzbein … Trauriger Statist im bunten Spiel meiner Jugend … Borstig, kragenlos, mit hängendem Schnurrbart steht deine Leiblichkeit aus Knochen, Haut und Holz wieder wie einst an der blutigroten, trostlos langen Schlachthofmauer, morgens abends, mittags. Aus zerschlissenen Knopflöchern pendeln verschimmelte Embleme, münzenartige Gebilde, Erinnerungsmedaillen. Siebzig bis einundsiebzig.”

Neben der Idylle Pfarrhaus und Garten liegt der Schlachthof. Auf seinem Schulweg in “die Stadt”: “Gewaltige Hunde ziehen blutige Metzgerkarren.” “Schnalzende Zungenmusik erfüllter Fuhrmannswonne. Was ist die Ladung? Schweine und Kälber natürlich. Was sonst wohl führe im Schlachthofrevier am Werktag spazieren?” Und die Buben haben das “Metzgerlesspiel” für sich entdeckt, die kleinste der Kirchenbänke soll geschlachtet werden: ”Bald dröhnt der Beilschlag auf des Banktiers Schädel. Es stürzt. Das Messer schnell – der Hundefutterkübel wird zum Blutauffanggefäß.”

St. Leonhard war auf der einen Seite um 1900 noch ein Dorf, auf der anderen Seite blickte die Industriestadt schon über seine Mauern, für Graf und seine Generation einmal verlockend, einmal bedrohlich. ”Der schwarze Wurm heimeilender Arbeiterschwärme, den allabendlich die große Stadt ausspeit … Die Arbeiter husten und spucken an die Mauer, wenn sie an unserem Totengarten vorübertrotten mit freudlosen, stumpfen Gesichtern … Die Esstöpfe, in knöchernen Fingern geschwungen, klappern blechern.” Neben dem Pfarrhaus im Gasthaus zum Leonhards-Park schallen “aufrührerische Stimmen” es “mischt sich in gräulich quirlenden Qualm gottesdienstlicher Orgelklang und der Arbeiterturnerriegen demonstrativer Marschgesang: die Marseillaise – die Marseillaise … Die Stadt rückt an. Die rote Stadt mit den Häusertürmen. Das Steingebirge der Mauern ohne Ende.” Das waren einige Ausschnitte aus dem Roman “Das Haus im Tor”. Wer etwas über die Atmosphäre von St. Leonhard in der Zeit um 1900 erfahren will, dem sei die Lektüre empfohlen.

(Klaus Thaler)