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Einige hundert „gute“ Bücher

… gab´s in der Leihbücherei in der Keuzerstraße

 

 

Artikel aus unserem Stadtteilmagazin Ausgabe 11, Juli 2017

 

Buchverleih Bößenecker, Kreutzerstraße 25

Unser Vater hatte sich 1947 strafbar gemacht: Schwarzschlachtung und Hamstern mit zwei Kollegen. Er musste um seinen Job als Fahrdienstleiter bei der Straßenbahn bangen – das Verfahren wurde 1949 nach der Hoegner-Amnestie eingestellt. Aber die Eltern suchten ein zweites wirtschaftliches Standbein. Mit inzwischen vier Kindern konnte die Mutter nicht arbeiten gehen. So blieb nur ein „Laden“. Der fand sich schließlich im Sommer 1948, mit einer hinreichend großen Wohnung in der Kreutzerstraße 25 in St. Leonhard. Man war belesen, glaubte an Bildung, hatte einige hundert „gute“ Bücher: eine Leihbücherei sollte es werden.

So wurden denn alle Bücher mit dem neuen Besitzstempel  versehen und numeriert: Das oben abgebildete Buch wurde niemals ausgeliehen, ebenso wie die zehnbändige Prachtausgabe von Brehms Tierleben (1900). Die „Kunden“ wollten keine Fraktur lesen und sie wollten sich auch nicht bilden. Sie wollten Unterhaltung.

Es mussten Bücher gekauft werden: Liebesromane, Kriminalromane, Wildwestromane, Sitten-(heute Erotik) Romane. Bei einer Leihgebühr von 30 Pfennig pro Woche musste ein Buch 15-mal ausgeliehen werden, bevor es bezahlt war. Billy Jenkins, Tom Prox – wie diese Wildwestromane gab es Serien in allen Kategorien. Wir mussten unser Esszimmer opfern; der Laden allein war nicht groß genug. Ich, damals 14, hatte die Aufgabe, nicht zurückgegebene Bücher bei den Leuten zu holen. Das war interessant, kam ich doch dabei in nahezu alle Häuser und in viele Wohnungen in St. Leonhard und konnte sehen, wie andere Familien lebten.

Konkurrenz gab es auch: in der Schweinauer Straße die Firma Voit. Die hatte aber auch Schreibwarenverkauf, vor allem Hefte für die nahegelegene Schule. Das Geschäft gibt es heute noch.1962 mit dem Aufkommen des Fernsehens war in der Kreutzerstraße schlagartig Schluss. Die Eltern zogen ins Weserbergland. Ich, 1964 verheiratet, blieb noch bis 1965 in der Wohnung. Dann zogen meine Frau und ich nach Schweinau. Von den Büchern aus der Leihbücherei haben wir nur die Frakturausgabe von Heinrich Mann und Brehms Tierleben von 1900 übernommen.

(Claus Bösenecker)